Augenzeugenbericht von Robert aus Bochum
Occupy Bochum: Hallo Robert, fang doch einfach vorne an, sag wer Du bist und was Du in Frankfurt erlebt hast.
Robert: Ich bin der Robert, bin bei Occupy Bochum aktiv seit 2 Jahren, war letztes Jahr schon auf der Blockupy-Demo in Frankfurt und es war für mich selbstverständlich, auch dieses Jahr wieder dorthin zu reisen. Ich war auch im Blockupy-NRW-Bündnis zugange, habe die Organisations-Demo in Dortmund zum Euro-Mayday mitgemacht.
Wir sind am Samstag in Bochum um 7 Uhr mit dem Bus losgefahren. Die Anreise verlief völlig problemlos im Gegensatz zum letzten Jahr, es gab keine Vorkontrollen unterwegs auf der Autobahn.Wir sind problemlos in Frankfurt angekommen, sind dann aus dem Bus ausgestiegen und gemeinsam zum Sammelort, zum Baseler Platz gegangen, der zu dem Zeitpunkt schon recht gut gefüllt war. Da hat sich unsere Busgruppe so ein bisschen zerstreut, jeder hat ja so seine Bezugspersonen gehabt, ich habe mich dann mit einigen meiner Bezugsgruppe gefunden – Aktivisten aus Bochum und Düsseldorf – und wir haben uns entschlossen, uns dem antikapitalistischen Block anzuschließen.
Occupy Bochum: War der so eindeutig zu erkennen?
Robert: Ja, der war eindeutig zu erkennen. Man muss noch sagen, was nachher für die Entwicklung des Kessels wichtig wurde, das es so war, das vorne an der Spitze der Demonstration Abgeordnete von den an Blockupy beteiligten Gruppen waren, danach kam direkt der antikapitalistische Block. Danach kam glaub ich Attac, Linke und so weiter, das war so blockmäßig aufgeteilt.
Wir sind etwas 11:30 Uhr los, eigentlich ziemlich pünktlich, mit kurzen Reden von verschiedenen Leuten, ich habe nur die Rede vom antikapitalistischen Block mitbekommen. Wir sind dann ungefähr, etwa 800 Meter, einen Kilometer gelaufen, 20 Minuten oder eine halbe Stunde, und dann war da die erste engere Stelle auf der Demoroute, wo da links das Schauspielhaus ist und rechts so ein anderes Bürogebäude.Da kam es dann an der Spitze des Demozuges zu einem kleineren Gerangel. Kurz vorher, also vor diesen ersten Scharmützeln war rechts und links Polizei aufgezogen.
Sind dann so 2 Böller geflogen, die hab ich gehört, und dann stand auch schon alles, so direkt eine Polizeikette vor uns und auch relativ schnell hinter uns, das ging ruckzuck, dass sozusagen dieser Block abgetrennt war vom Restdemozug. Man kann sagen, dieser Block war eigentlich ein bunter Block, natürlich gabs Schwarzgekleidete, es gab auch einige Vermummte, es gab aber auch viele nicht vermummte Teilnehmer.
OccupyBochum: Man hat also den antikapitalistischen Block sozusagen „großflächig ausgeschnitten“?
Robert: Ja, genau. Dann war erst mal Stillstand. Dieser Stillstand, dieser Kessel, der in diesem Moment noch relativ gross gezogen war, führte direkt zu Gegenreaktionen, Sprechchören, der Lautsprecherwagen hat auch direkt dagegen protestiert. Der Demozug war so lang, dass zu diesem Zeitpunkt die letzten Teilnehmer noch auf dem Baseler Platz standen. Viele sind also gar nicht vom Baseler Platz weggekommen, weil wir vorne schon gestanden haben. Wie gings weiter? Nach dem Stillstand kam dann irgendwann die Durchsage, dass die Polizei vorhat, diesen Block von der Restdemo zu trennen, und die Restdemo halt weiterlaufen kann. Das wurde natürlich überhaupt nicht akzeptiert, auch von der Restdemo nicht, die haben das auch entsprechend geäußert und sind dann ja auch die ganze Zeit hinter uns geblieben.
Vielleicht ist es wichtig zu erwähnen: Es gab am Lautsprecherwagen eine sogenannte Deli-Konferenz , eine Delegiertenkonferenz mit Vertretern der einzelnen Gruppen. Man muss wissen, dass dieser antikapitalistische Block schon sehr gut organisiert ist, dass da Leute, die sich kennen, auch immer zusammen gehen und Gruppen bilden und man da so einen Delegierten hinschickt zu dem Lautsprecherwagen, da gab es also diese Delegiertenkonferenz, wie weiter vorgegangen wird. Da wurde sich darauf geeinigt, dass man Ruhe bewahrt und wartet, dass man aber auf keinen Fall bereit ist, einzeln wie es die Polizei verlangt aus dem Kessel zu gehen und sich die Personalien abnehmen zu lassen und dann praktisch nach Hause geschickt wird, das war sofort Konsens, dass das nicht gemacht wird.
Die Polizeiketten wurden dann in der Zwischenzeit immer weiter verstärkt, dass kann man ja auch auch auf vielen Videos sehen. Die Kette hinter dem antikapitalistischen Block (zwischen Kessel und „Folgedemo“, Occupy Bochum) wurde sehr massiv, da sind sie sehr massiv in die Demo hereingegangen, um ihre Polizeiketten zu erweitern.
Ich habe dann relativ am Anfang versucht da rauszukommen, also freiwillig, weil ich mir das mit meiner Konstitution einfach nicht antun wollte. Ich wurde dann halt von Ecke zu Ecke geschickt, zum Schluss wurde mir klar, hier ist einfach kein Rauskommen. – Dann ist halt so vier Stunden gar nichts passiert. Man stand auf der Stelle, Sprechchöre ab und an, Musik, dann war mal wieder Ruhe.
Occupy Bochum: Als Du versucht hast rauszukommen, haben Dich da die Polizisten absichtlich immer auf die gegenüberliegende Seite geschickt?
Robert: Ja, genau. Dazu ist mir eine Sache noch im Gedächtnis geblieben: So ein älterer Mann, der mit dem Einsatzleiter eifrig diskutiert hat – es waren übrigens auch Bochumer Polizisten dabei – also mit dem Gruppenführer hat der diskutiert und hat zu ihm gesagt: Das führt doch nur dazu, das nächstes Jahr Fünfzig- oder Hunderttausend hier sind, da sagte der nur, das ist mir doch egal, ich bin gerne hier und nächstes Jahr auch. Das hatte was, diese Kommentare der Polizisten, wenn Du dann dazu ihr Gesicht gesehen hast, mit diesem dreisten Lächeln, kein freundliches Lächeln, sondern Dich so auslachend. Das hat mir viel gezeigt von deren Persönlichkeit.
Dann gab es ja kurzzeitig Verhandlungen, worauf die Leute aus dem Block gesagt haben, sie lassen Sonnenbrillen und Vermummungsgegenstände – das wird ja als passive Bewaffnung gerechnet – Sonnenbrillen, Regenschirme. Der italienische Block der hatte so Styroporplatten dabei, wo halt so Parolen drauf standen, das haben sie auch als passive Bewaffnung ausgelegt.
Occupy Bochum: Ich habe das gesehen auf Fotos, da waren hinten so Schlaufen dran zum Tragen.
Robert: Ja, natürlich sollten das auch Schutzschilder sein. Man hat sich also bereit erklärt, die ganzen Sachen liegen zu lassen und weiterzugehen, dass wurde aber von der Polizei abgelehnt. Dann gab es noch weiter Verhandlungen. Es wurde von uns angeboten, die Demo zu verkürzen, praktisch also nur noch zum Willy-Brandt-Platz zu ziehen und da dann noch eine Abschlusskundgebung zu machen. Das wurde von der ebenfalls von der Polizei abgelehnt. Um 16 Uhr kam dann die Durchsage von der Polizei, diese würde jetzt eingreifen und einzelne Leute da rauszuziehen. Ja, und damit haben sie dann angefangen. Der Kessel wurde immer enger, und dann ging das über Stunden, dass sie immer wieder reingegangen sind einzelne Leute da rausgeholt haben mit Hilfe von Schlagstöcken und Pfefferspray und so weiter. Und Du kamst da einfach nicht mehr weg.
Occupy Bochum: Du hast gesagt, ihr wärt ungefähr halb eins losgegangen, dann wart ihr also etwa ab halb eins im Kessel?
Robert: Ja, so ab zwölf, um zwölf ging nix mehr. Das war ruckzuck, dass hatte ja kaum angefangen, da standen wir schon. Irgendwann wurde dann relativ schnell am Anfang des Kessels Dixi-Klos dahingebracht von der Polizei. Die Versorgung mit Essen und Wasser war natürlich eingeschränkt, hatte jeder nur das, was er dabei hatte. Was gut war mit dem Wasser, ich weiß nicht, ob Du das gesehen hast, was die Leute aus dem Schauspielhaus gemacht haben. Das Schauspielhaus hat an der Seite eine ziemlich hohe Betonfront hat, wo die ersten Fenster erst im dritten oder vierten Stock kommen. Da haben die anfangen, nachdem sie per Lautsprecher darum gebeten wurden, mit langen Schnüren Eimer herunterzulassen. Da haben wir dann unsere ganzen leeren Wasserflaschen da reingetan, und so haben die für den ganzen Block immer wieder Wasser heruntergelassen. Das war wirklich super und hat die Polizei glaub ich so richtig geärgert. So war die Versorgung mit Wasser gewährleistet.
Irgendwann haben sie dann auch noch ganz viele bunte Luftballons aus dem Fenster geworfen, sodass von Seiten des Schauspielhauses schon mal sehr große Unterstützung kam. Von der anderen Seite – der Demozugseite – wurden auch über die Polizisten hinweg Wasserflaschen zu uns herübergeworfen, zur Unterstützung. Die Solidarität von außen war auf jeden Fall super, dass muss man sagen. Immer wieder die Sprechchöre von der anderen Seite und auch über den Lautsprecherwagen, dass war schon großartig. Insgesamt innerhalb des Kessels war natürlich auch eine Riesensolidarität. Es wurde sich gekümmert um Verletzte und Leute, denen es nicht so gut ging. Es waren auch Demosanitäter da, wenn sie durchgelassen wurden. Am Anfang war das ein bisschen problematisch, dass sie nicht reingekommen sind, aber dann konnten sich die irgendwann ganz stark um die ganzen Verletzten kümmern. Es gab immer wieder Leute, die Pfefferspray oder Schlagstöcke abgekriegt haben. Im Polizeibericht ist ja von einem verletzten Demonstranten die Rede, das ist lachhaft. Allein ich habe zwanzig, dreißig Verletzte gesehen, und ich habe ja bei weitem nicht alle gesehen, das war eine Riesenlüge.
Zur Kommunikation kann man sagen: Die Jungs und Mädels vom Lautsprecherwagen waren super, die haben echt gute Arbeit gemacht. Zwischendurch haben die durchgesagt, dass schon während des Kessels in Venedig eine Aktion vor dem deutschen Konsulat war, das sieht man, das die Leute untereinander gut vernetzt sind. Es wurde die ganze Zeit aus dem Kessel rausgetwittert wie wild.
Irgendwann wurde der Kessel dann immer enger, das war immer wieder bedrohlich, wenn die dann immer wieder angegriffen haben. Zwischendurch war immer mal wieder ein bisschen Ruhe, alle Leute waren ein bisschen entspannter, plötzlich ging das dann wieder los, dass da reingeknüppelt wurde, dass da Leute rausgerissen wurden. Und dadurch, daß es da immer enger wurde, wurde man auch zunehmend nervöser, muss ich echt sagen. Das war eine sehr unangenehme Lage teilweise.
Ganz vorne standen die Italiener, wie die über Stunden durchgehalten haben und noch dabei relativ gute Laune hatten und Stimmung gemacht haben, dass war schon großartig, obwohl es die immer wieder abgekriegt haben. Die sind da wohl sehr erprobt in solchen Situationen. Irgendwann war es dann so, dass die Polizei dann so dicht an dem Lautsprecherwagen war, dass die Leute auf dem Wagen dann da runtergegangen sind. Und dann kam dann da praktisch so eine Eingreiftruppe, die sich da links und rechts von dem Wagen durchgeprügelt haben und den Lautsprecherwagen gestürmt haben, da die Plakate abgerissen und zerstört haben und den Lautsprecherwagen dann als Platz genommen haben, wo sie super von filmen konnten in den Kessel rein. Das zog sich dann wirklich über Stunden.
Occupy Bochum: Die letzte Zeit, die du genannt hattest, war 16 Uhr, als der Kessel enger gezogen wurde. Wie spät war es denn, als der Lautsprecherwagen gestürmt wurde?
Robert: Das war so zwischen 19 und 20 Uhr, eher gegen 19 Uhr.
Occupy Bochum: Da war für Dich schon klar, dass Du mit dem Bus jedenfalls nicht mehr nach Hause kommst?
Robert: Ja, das war irgendwann klar.
Occupy Bochum: Und bei deinem Telefon war der Akku leer?
Robert: Ja, es kamen in dieser Zeit ganz viele Anrufe an, und irgendwann habe ich dann ausgemacht weil ich noch einen letzten Anruf haben wollte, damit ich meine Frau erreiche, falls in dann doch noch irgendwo weggeschlossen werde. Zwischendurch konnte ich mein Telefon nochmal ein bisschen aufladen, Düsseldorfer Leute hatten so einen Akku dabei, da konnte ich wenigstens ein bisschen laden.
Das hat alles unheimlich lange gedauert, weil die dann jeden einzelnen da rausgezogen haben. Die hatten auch nicht so viele Kräfte, dass das permanent ging: Ein paar wurden herausgezogen (und einzeln von je 2 Polizisten abgeführt, Occupy Bochum) und dann war wieder ne Weile nix und dann haben sie wieder ein paar Leute herausgezogen. Und dann irgendwann gegen neun war die Situation dann so, dass wir nach vorn durchgekommen sind mit drei Leuten, praktisch an der Spitze des Kessels, und wir haben gesagt, dass wir rauswollen. Das hat dann nochmal etwa eine halbe Stunde gedauert.
Dann hat man uns einzeln abgeführt. Dann ging das so 300, 500 Meter durch eine Straße durch, die mit Absperrung, Stacheldraht und so weiter abgesperrt war am Willy-Brandt-Platz vorbei, wo dann schon dutzende Polizeiwagen warteten und wo man durchsucht wurde. Das Gepäck wurde durchsucht, man selber wurde durchsucht, dann wurde man aufgeteilt, ob man Widerstand geleistet hat oder nicht Widerstand geleistet hat, dann haben sie Personalien aufgenommen, Perso fotografiert oder gescannt und man selbst wurde auch fotografiert, hat so eine Nummer vor die Brust gekriegt. Dann hat man ein Aufenthaltsverbot für die Frankfurter Innenstadt gekriegt. Frankfurter Innenstadt das ist so ein Bereich von fünf mal drei Kilometern, wo einem nahegelegt wurde, man solle zügig zum Bahnhof gehen und nach Hause fahren.
Was noch erwähnenswert war, das direkt hinter den Absperrungen Leute standen, ich glaube die waren aus Stuttgart vom Stuttgart21-Bündnis, die dann die Leute mit Kaffee und Essen versorgt haben. An einer Ecke standen noch Leute, die dann auf Zuruf Namen notiert haben für den Vermittlungsausschuss, sodass da auch noch mal Unterstützung war.
Das wars so im Groben. Dann bin ich zum Bahnhof und bin nach Hause gefahren.
Occupy Bochum: Wann warst Du zuhause? Wann konntest Du Deine Frau anrufen?
Robert: Meine Frau habe ich direkt nach der Polizeikontrolle angerufen. Halb zwei war ich zuhause.
Occupy Bochum: Ein ereignisreicher Tag. Und was bedeutet das jetzt für Dich und politisch?
Robert: Das eine solche Repression möglich ist, das war mir schon immer bewusst. Ich habe das jetzt zum ersten Mal so nah erlebt. An meiner politischen Einstellung hat sich dadurch nichts geändert. Für mich war es eher belastend, das selber mal so mitbekommen zu haben vor Ort, das hatte ich vorher noch nie erlebt. Dass das an diesem Tag so abläuft, hätte ich nicht gedacht, das hat mich schon überrascht, aber das ich da völlig erschüttert bin, das kann ich nicht sagen, weil ich das von anderen Berichten vorher schon gehört und gesehen habe. Aber es ist schon etwas anderes, wenn man das selber so nah mitkriegt.
Für mich persönlich am beeindruckendsten war die Unterstützung durch den anderen Teil der Demo, sodass der Plan, einen Keil zwischen den „Normaldemonstranten“ von Attac und Gewerkschaften und dem antikapitalistischen Block zu treiben, nicht funktioniert hat, das fand ich super. Auch die Kommunikation und Solidarität innerhalb des Kessels war beeindruckend. Und das die Leute sich einfach nicht haben provozieren lassen, dass bis zum Schluss passiver Widerstand geleistet wurde und nicht versucht wurde, da eine wilde Prügelorgie zu starten, was die Polizei natürlich gerne gesehen hätten, das war für mich sehr beeindruckend.
Das man bei einer Aktion so einen staatlichen Widerstand kriegt, zeigt für mich eigentlich nur, dass man auf dem richtigen Weg ist. Ich hoffe, dass durch die Geschehnisse die Menschen erkennen, was für Zustände wir haben, und wir bei zukünftigen Aktionen immer mehr Leute werden.